Nach der Definition der World Bank Group liegt „absolute Armut“ vor, wenn ein Mensch zum Leben weniger als 1,90 $ am Tag zur Verfügung stehen, das sind nach dem Wechselkurs von heute etwa 1,64 €. 10 Prozent der Menschheit leben noch immer in solchen Verhältnissen, auch wenn erfreulicherweise der Anteil der Weltbevölkerung in extremer Armut in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen ist. Der Großteil wird wohl Subsistenzfarmer sein, die in ihren ländlichen Strukturen zum großen Teil ohne Geld auskommen, denn anders stelle ich es mir schwer möglich vor, auf diese Weise dauerhaft zu (über)leben, wenn man an all die Kosten für Essen, Hygiene, Wohnen, Kommunikation, Mobilität und Bildung einbeziehe, die in einer modernen Gesellschaft so anfallen. Wir sind in Deutschland in der glücklichen Lage, weit weg von solchen Extremen zu sein, weswegen der Begriff der „absoluten Armut“ in Deutschland ja auch nicht wirklich verwendet wird. Statt dessen spricht hierzulande von relativer Armut, wenn weniger als 50% des Einkommens des Durchschnittsdeutschen zur Verfügung zum Lebensunterhalt zur Verfügung stehen. Nach dieser Definition muss eigentlich fast zwangsläufig irgendwer arm sein, was für die absolute Armut nicht gilt.
Ich weiß gar nicht genau warum, aber irgendwie finde ich es interessant auszuloten, wie „arm“ ich sein kann und trotzdem noch ein gutes und produktives Leben führen kann. Deswegen habe ich mir folgendes als Experiment überlegt: Für den Zeitraum von einigen Wochen von den oben genannten 1,90 $, also gut 1,60 € pro Person die täglichen Kosten für Ernährung zu bestreiten, und während dieses Zeitraums auf zusätzlichen Konsum (Drogerieartikel, Klamotten usw.) zu verzichten. Da in der Wohnung erstmal noch genug Klopapier, Seife und T-Shirts sind, sollte das kein großes Opfer sein. Tahina hat sich entschlossen, bei meiner seltsamen Idee mitzumachen, und so haben wir uns für zwei Erwachsene und unseren vierjährigen auf eine Gesamtbetrag von 30 Euro die Woche geeinigt, also knapp über 4 Euro am Tag. Unsere Miete, Strom, Internet usw. zahlen und nutzen wir natürlich weiter, weswegen unsere Gesamtausgaben und unser Lebensstandard natürlich auch mit diesen Einschränkungen deutlich höher liegt. Und natürlich können wir das Experiment jederzeit abbrechen, wenn es notwendig oder uns einfach zu unbequem wird, was ja ebenfalls ein erheblicher Luxus ist.
Los geht’s am 4. Oktober 2018. Am Vortag haben wir versucht, die meisten Reste aufzuessen, um nicht mit einem vollen Kühlschrank zu starten, aber eine perfekte Punktlandung ist natürlich nicht ganz möglich gewesen. So starten wir also in die erste Woche rein:
Auf dem Balkon vegetieren noch einige Kräuter vor sich hin, von denen wir uns vor Einbruch des Winters großzügig bedienen können, und wir erlegen uns keine strengen Regeln auf, nicht auf der Arbeit oder zu Besuch den einen oder anderen Snack zu finden – solange es nicht einen großen Teil unserer Kalorien ausmacht.
In der Folge möchte ich berichten, wie es uns so dabei geht und was wir so konkret kochen.
Nachtrag: Hier alle Beiträge in chronologischer Reihenfolge: